Entscheidungen dorthin, wo die Arbeit ist
Warum Evelyn Palla bei der Deutschen Bahn genau richtig anfängt
Zentralisierung in der Krise ist ein Reflex, der Organisationen langsamer und schlechter macht. Wirksame Führung verändert Rahmenbedingungen statt Druck zu erhöhen. Der Start von Evelyn Palla bei der Deutschen Bahn zeigt diesen Ansatz: Entscheidungen dorthin verlagern, wo die Arbeit ist, Verantwortung ermöglichen und Nähe zum operativen Geschäft herstellen. Das ist der einzig gangbare Weg, um Handlungsfähigkeit und Kultur zurückzugewinnen.
Blumen wachsen nicht, wenn man an ihnen zieht.
Sie wachsen, wenn Erde, Dünger, Licht und Wasser passen.
Das ist keine Binsenweisheit aus dem Gartenbau.
Das ist Organisationslogik.
Und genau daran scheitern viele Unternehmen – besonders in Krisenzeiten.
Der falsche Reflex in der Krise
Wenn Organisationen unter Druck geraten, passiert fast immer dasselbe:
Entscheidungen wandern nach oben. Budgets werden zentralisiert. Jeder Euro vom CFO geprüft, vom CEO gegengezeichnet. Kontrolle ersetzt Vertrauen.
Das fühlt sich nach Handlungsfähigkeit an.
Ist es aber nicht.
Es ist ein Reflex. Und dieser Reflex macht Organisationen langsamer, schlechter – und innerlich kaputt.
Ein bemerkenswerter Start
Der erste öffentliche Auftritt von Evelyn Palla als neue Chefin der Deutschen Bahn ist deshalb bemerkenswert.
Nicht wegen großer Visionen oder wohlklingender Worte, sondern wegen der Entscheidungslogik,
die sie an Tag 1 klar formuliert:
- Verschlankung an der Spitze
- weniger Führungsebenen
- Entscheidungen und Verantwortung dorthin, wo die Arbeit gemacht wird
Und vor allem: Ehrlichkeit.
Keine falschen Versprechen zur Pünktlichkeit. Keine Wunderankündigungen.
Stattdessen ein Satz, der hängen bleibt:
Wir ändern die Rahmenbedingungen, unter denen wir die Probleme lösen.
Das ist keine PR.
Das ist Führung.
Die Spitze wird sonst zum Flaschenhals
Wenn alles an der Spitze entschieden wird, wird die Spitze zwangsläufig zum Flaschenhals.
Nicht aus Unfähigkeit – sondern aus Physik.
Kein Vorstand der Welt kann tausende operative Entscheidungen gleichzeitig treffen.
Je mehr nach oben gezogen wird, desto langsamer wird das System.
Entscheidungen stauen sich. Prioritäten verschwimmen. Wirkung verpufft.
Hinzu kommt ein zweites Problem, über das selten ehrlich gesprochen wird:
Die Spitze hat keine operative Ahnung – und kann sie auch gar nicht haben.
Der Vorstand kann nicht schweißen.
Der Schweißer kann keine Budgets machen.
Beide Kompetenzen sind notwendig.
Aber sie sind nicht austauschbar.
Trotzdem treffen Vorstände regelmäßig Entscheidungen, die tief in den operativen Alltag hineinwirken –
über Abläufe, Werkzeuge, Zeitpläne oder Prioritäten.
Entscheidungen von Menschen, die diese Arbeit selbst nie tun.
Nicht aus Arroganz.
Sondern weil das System sie dazu zwingt.
Warum Dezentralisierung besser UND schneller ist
Entscheidungen werden schneller, wenn Entscheidung und Ausführung nahe beieinanderliegen.
Und sie werden besser, wenn sie dort getroffen werden, wo Kompetenz, Erfahrung und Kontext vorhanden sind.
Zentralisierung erzeugt:
- lange Entscheidungswege
- Absicherungsverhalten
- Verantwortungsdiffusion
- Frustration bei denjenigen, die es eigentlich richten könnten
Dezentralisierung erzeugt:
- Geschwindigkeit
- Ownership
- Lernfähigkeit
- operative Qualität
Natürlich passieren dabei Fehler.
Aber die passieren zentral genauso – nur später, teurer und mit größerem Schaden.
Kultur entsteht durch Bedingungen, nicht durch Appelle
Blumen wachsen nicht, wenn man an ihnen zieht.
Sondern wenn Erde, Dünger, Licht und Wasser passen.
Viele Organisationen versuchen, Leistung durch Druck zu erzwingen:
mehr Kontrolle, mehr Reporting, mehr Zielvorgaben, mehr Eskalation.
Wenn man Druck auf Pflanzen erhöht, passiert genau das, was auch bei Menschen passiert:
Sie hören auf zu wachsen.
Dauerhafter Druck führt nicht zu Verantwortung, sondern zu Absicherung.
Nicht zu Engagement, sondern zu innerer Kündigung.
Nicht zu Qualität, sondern zu Regelkonformität ohne Wirkung.
Was Evelyn Palla anstößt, ist deshalb vor allem kulturell relevant.
Sie verändert nicht die Menschen – sie verändert das System, in dem sie arbeiten.
„Endlich darf ich“
Wer jemals in einer stark zentralisierten Organisation gearbeitet hat, kennt diesen inneren Satz:
Ich weiß genau, wo es hakt. Aber ich darf nicht.
Wenn sich Rahmenbedingungen ändern, entsteht etwas anderes:
Endlich darf ich. Ich weiß doch, wo es hakt.
Das verändert Verhalten.
Und mit der Zeit verändert es Kultur.
Menschen übernehmen Verantwortung nicht, weil man es von ihnen verlangt.
Sondern weil man ihnen zutraut, Entscheidungen zu treffen.
Führung heißt, das Geschäft zu verstehen
Ein Detail sagt oft mehr als viele Programme:
Seit 2024 besitzt Evelyn Palla als einziges DB-Vorstandsmitglied einen Triebfahrzeugführerschein – berufsbegleitend erworben.
Das ist kein PR-Gag. Das ist Haltung.
Sie weiß, wovon sie spricht.
Und genau deshalb kann sie loslassen.
Der Vorstand muss nicht schweißen.
Aber er muss verstehen, was Schweißen bedeutet.
Wenn ein Lokführer oder Schaffnerin in der Deutschen Bahn ihr schreibt, dann weiß er oder sie genau: Sie weiß wovon ich rede. Wer das operative Geschäft kennt, muss es nicht zentral kontrollieren.
Wer es nicht kennt, versucht es meist. Und diese Kontrolle bleibt ohnehin immer Illusion.
Walk the hall
Red mit den Leuten.
Hör zu.
Wer das ernsthaft tut, weiß sehr schnell:
- warum der Laden nicht läuft
- wo Entscheidungen hängen bleiben
- wo Regeln Arbeit verhindern
- und wo Menschen längst wissen, was zu tun wäre
Diese Gespräche sind unbequem.
Weil sie Ausreden überflüssig machen.
Und genau deshalb sind sie so wirksam.
Der einzig richtige Weg
Die Bahn ist hochkomplex, infrastrukturell angeschlagen und kulturell über Jahre gelähmt worden.
Das lässt sich nicht durch mehr Kontrolle reparieren.
Evelyn Palla geht an Tag 1 den einzig richtigen Weg:
- Sie akzeptiert, dass sie es nicht alleine richten kann.
- Sie vertraut auf die Kompetenz der Menschen vor Ort.
- Sie verändert Rahmenbedingungen statt Druck zu erhöhen.
Egal, was am Ende herauskommt:
Das ist große Führung.
Nicht, weil sie Erfolg garantiert.
Sondern weil sie den einzigen Weg geht, der überhaupt eine Chance hat.
Ich wünsche ihr wirklich von ganzem Herzen Erfolg!
Wenn auch Du Dein Führungsverhalten verändern möchtest:
Lass uns reden!
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Werner Illsinger ist Unternehmensberater mit Schwerpunkt auf Strategie und Führung. Er verfügt über mehr als 30 Jahre Erfahrung in der IT, davon 18 Jahre in internationalen Führungsrollen bei Microsoft sowie als Geschäftsführer der Raiffeisen Informatik Consulting. Als Wirtschaftspsychologe und Lehrender an der FH Kärnten beschäftigt er sich mit der Frage, wie Entscheidungsstrukturen, Kultur und menschliches Verhalten die Wirksamkeit von Organisationen prägen.